NR | Deutscher Text |
0 | Strafe und Abschreckung Gerichtsbarkeit im Wandel der Zeit Schloss Burgdorf war über Jahrhunderte auch ein Gericht. Dieser Saal war einer von vier Gerichtssälen im Schloss; die letzte Verhandlung fand 2012 statt. Wie die Obrigkeit mit Straftäterinnen und -tätern umging, hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Vor 1800 konnte nur verurteilt werden, wer eine Tat gestand. Was vor Fehlurteilen schützen sollte, schützte aber nicht: Viele Geständnisse wurden unter Folter erpresst. Statt Gefängnisstrafen stand auf zahlreiche Delikte der Tod. Die Hinrichtungsarten richteten sich nach der Tat und waren oft grausam; die Leichen der Getöteten stellte man zur Abschreckung für alle anderen öffentlich aus. Die Helvetische Republik hat 1798 hat die Folter abgeschafft. Die Strafen blieben für heutige Begriffe drastisch, doch die Todesstrafe beschränkte man nun auf schwere Verbrechen. Die letzten Todesurteile fielen in diesem Schloss 1861; dreizehn Jahre später schaffte die neue Bundesverfassung die Todesstrafe in Friedenszeiten ab. Soweit nicht anders vermerkt, gehören die Objekte in diesem Raum zur Sammlung Rittersaalverein. |
1 | Vier Fälle Prozesse und Strafen aus vier Jahrhunderten Niklaus Leuenberger war Anführer im bernischen Bauernkrieg. Im Waffenstillstandsvertrag von Murifeld sicherte ihm die Regierung freies Geleit zu – aber sie brach ihr Wort: Leuenberger wurde verhaftet, des Landesverrats angeklagt und am 6. September 1653 enthauptet und gevierteilt. Vater Hotz war Wasenmeister – Gehilfe des Scharfrichters. Man klagte ihn und seinen Sohn an, Kühe vergiftet zu haben, um die Kadaver gegen Honorar beseitigen zu können. Berufshalber wusste Hotz nur zu gut, was Folter bedeutet – und so genügte die Androhung der Folter, dass er gestand. 1702 starben Vater und Sohn am Galgen. Anna Maria Flückiger hatte eine schlimme Jugend hinter sich. Man beschuldigte sie der Brandstiftung, des Diebstahls und des Mordes an ihrer Mutter; beweisen konnte man es nicht. Die erste Instanz verurteilte die 21-Jährige 1846 zum Tode; das Obergericht reduzierte die Strafe zu Kettenhaft. Doch Anna Maria wollte lieber sterben: Weil sie die Aussicht auf 15 Jahre an der Kette nicht ertrug, tötete sie im Gefängnis das Baby einer Mitgefangenen, um doch noch ein Todesurteil zu erwirken. 1926 verurteilte das Geschworenengericht Burgdorf das Liebespaar Max Riedel und Antonia Guala wegen Mordes an Riedels Ehefrau Ida. Fünf Jahre später kam es zum Revisionsprozess: Es war wohl Selbstmord, nicht Mord. Riedel und Guala erhielten Freiheit und Entschädigung und heirateten noch im gleichen Jahr. |
2 | Gerichtszepter, 16.Jahrhundert. Leihgabe Bernisches Historisches Museum |
3 | Gnadengesuch von Niklaus Leuenberger, 1653 (Reproduktion). Original im Staatsarchiv des Kantons Bern, A IV 184 |
4 | Niklaus Leuenberger, Stich, 17. Jahrhundert (Kopie). |
5 | Der Bundesschwur in Huttwil am 14. Mai 1653. Lithografie von Martin Disteli, aus dem Schweizerischen Bilderkalender für das Jahr 1840 (Kopie). Im Mittelpunkt dieser Landsgemeinde kniet Bauernführer Leuenberger. In seiner linken Hand hält er den Bundesbrief; den rechten Arm streckt er zum Schwur gen Himmel. |
6 | Martin Disteli: «Schibi auf der Folter», Lithografie aus dem Schweizerischen Bilderkalender für das Jahr 1839 (Kopie). Das herrschaftliche Gericht in Sursee verhörte 1653 den Entlebucher Bauernführer Christian Schibi im Anschluss an den Aufstand. |
7 | Daumenschraube (Folterinstrument), 18.Jahrhundert. Leihgabe Bernisches Historisches Museum |
8 | Lebenslauf der Anna Maria Flückiger, 1846 (Reproduktion). Original im Staatsarchiv des Kantons Bern, BB XV 1884, Nr. 6397 |
9 | Vier Publikationen zur Verurteilung der Anna Maria Flückiger, 1847. Der Fall bewegte die Öffentlichkeit; es erschienen zahlreiche Publikationen. |
10 | Mit diesem Richtschwert vollstreckte der Kanton Bern zum letzten Mal ein Todesurteil. Inschrift: «Bern. Letztes Richtschwert. Letzte Hinrichtung 9ten December 1861.» Leihgabe Bernisches Historisches Museum |
11 | Archivschachteln der Untersuchung gegen Dr. Max Riedel und Antonia Guala. |
12 | Jakob Nef: Illustration, «Nebelspalter», 8.Januar 1932. |
13 | «Zürcher Illustrierte», 18.Dezember 1931. Fotografien: Paul Senn. Der Revisionsprozess Riedel-Guala erregte schweizweit Aufmerksamkeit. Der abgebildete Gerichtssaal ist der Assisensaal im Kornhaus auf Schloss Burgdorf. |
14 | Max Paul Theodor Riedel in der Strafanstalt Thorberg, 1931. Foto: Paul Senn. Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video, Kunstmuseum Bern, Depositum Gottfried Keller-Stiftung. © Gottfried Keller-Stiftung, Bern |
15 | Antonia Guala in der Strafanstalt Hindelbank, 1931. Foto: Paul Senn. Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video, Kunstmuseum Bern, Depositum Gottfried Keller-Stiftung. © Gottfried Keller-Stiftung, Bern |
16 | Für den Frieden hinter Gitter Bis 2012 war das Schloss sowohl Gericht wie Gefängnis. Zwölf enge Gefängniszellen befanden sich im Kornhaus. Zuletzt waren hier Untersuchungshäftlinge untergebracht und bis 1996 auch Militärdienstverweigerer. Dienstverweigerer sassen ihre Strafe in eigenen Zellen ab, getrennt von den Untersuchungshäftlingen. Wem das Militärgericht ethisch-religiöse Motive zubilligte, der arbeitete tagsüber in der Küche des Regionalspitals. Armeegegner und «Drückeberger» wurden härter bestraft. Urs Geiser übernachtete 1981 wegen Dienstverweigerung fünf Monate lang in einer Zelle auf dem Schloss. Das war eine milde Strafe; es hätten auch gut zehn Monate im geschlossenen Strafvollzug werden können. Erst 1992 führte die Schweiz einen Zivildienst ein, als eines der letzten Länder Westeuropas. Damit endete die Kriminalisierung von Militärverweigerern. |
17 | Gefängnis-Blues Fünf Monate lang verbringt Dienstverweigerer Urs Geiser seine Nächte in der Zelle auf Schloss Burgdorf. Er will sich die langen Abende mit Musik verkürzen: Dazu hat er diesen Kassettenrekorder mit in den Knast genommen. Doch unverhofft braucht Geiser das Gerät, um die Musik seines Zellengenossen aufzunehmen: Luc spielt Gitarre und singt dazu Country-Nummern, Beatles-Hits und immer wieder seinen eigenen Blues. Darin zählt er die Tage bis zur Freiheit. Am zweitletzten Tag in Haft nimmt Geiser die Geräusche morgens um sechs in der Zelle auf: Der Gefängniswärter nähert sich, sein Schlüsselbund rasselt, er schliesst die Tür auf und wünscht guten Morgen. Dieses Kassettengerät hat Geiser ein halbes Leben begleitet. Nach 39 Jahren ist es museumsreif geworden und an seine erste Station zurückgekehrt. |
18 | Urteil des Divisionsgerichts 3 vom 14. Oktober 1980 gegen Urs Geiser (Auszüge, Reproduktion). |
19 | Vorladung des Divisionsgerichts 3 vom 23.September 1980. |
20 | Schlüssel zu einer Gefängnistür des Regionalgefängnisses. |
21 | Urs Geiser, 1983 |
22 | Gefängniszelle mit einer künstlerischen Intervention von Heinz Egger 2012. Fotos: Verena Menz, 2018. |
23 | Bericht über die letzte Gerichtsverhandlung auf Schloss Burgdorf. «Berner Zeitung», Ausgabe Emmental, 13.April 2012. |