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0 Löcher für die Welt
Burgdorf und der Käsehandel
Die Redewendung «wie Schweizer Käse» meint «voller Löcher»: Der löchrige Emmentaler ist der Schweizer Käse schlechthin. Das Emmental mit den Zentren Langnau und Burgdorf exportierte schon im 18.Jahrhundert Käse in alle Welt.
Seinen Höhepunkt erreichte dieser Handel von 1830 bis 1870. Immer mehr Handelshäuser vertrieben den Löcherkäse, der Export in alle Welt brachte Wohlstand nach Burgdorf. Doch mit der Massenproduktion litt die Qualität.
Andere Länder erhoben Zölle zum Schutz des eigenen Käses. Um 1900 war die Blütezeit des Emmentalerhandels vorbei. Geblieben ist der Käse – und die Bekanntheit seines Namens.
Die Objekte in diesem Raum sind Leihgaben der Roth-Stiftung Burgdorf.
1 Käsefieber
Die Boomjahre des Emmentalers
Neue Gesetze erleichterten es den Berner Bauern ab 1830, von der Getreide- auf die Milchwirtschaft zu wechseln. Freihandelsverträge förderten den Export und die Eisenbahn verband Burgdorf ab 1857 mit der Welt.
So kam es zum grossen Boom: Gab es 1835 im ganzen Kanton erst 27 Käsereien, so waren es 1857 schon über 300. Emmentaler wurde zu einem der wichtigsten Exportprodukte der Schweiz – in Deutschland hiess er lange Zeit schlicht «Schweizer Käse», in den USA bis heute «Swiss Cheese».
2 Wassertreiben
Die Bauern und Bäuerinnen arbeiten und schwitzen und schauen zu, wie sich einige Leute in der Emme erfrischen. Was fährt da an den Badenden vorbei?
Strassen machen in vormoderner Zeit wenig Freude: Schlaglöcher setzen den Wagen zu, und nach Regenwetter verwandeln sich die Fahrbahnen in Schlammpisten. Waren transportiert man deshalb möglichst zu Wasser. So ist auch die Emme ein wichtiger Verkehrsweg.
Über sie gelangen die schweren Käselaibe auf die Aare und weiter auf den Rhein bis hinab ins ferne Holland. Am Ende ihrer Reise verkaufen die Flösser die Stämme als Bauholz.
Für Schiffe ist die Emme zu seicht. Möglicherweise treideln Zugtiere flache Boote flussaufwärts. 1880 verbieten die städtischen Behörden die Flösserei: Man lebt jetzt im Zeitalter der Eisenbahn; Flössen fällt aus der Zeit.
3 Ansicht Burgdorf von Norden. Reproduktion eines Aquarells von Samuel Hieronymus Grimm, 1763.
Original bei Burgergemeinde Burgdorf
4 Ungeschützt
Die Käsewirtschaft in der Krise
Ausgewanderte Käser produzierten ab dem 19.Jahrhundert in ganz Europa Käse, den sie «Emmentaler» nannten. Als es 1890 möglich wurde, Marken rechtlich zu schützen, war es zu spät: «Emmentaler» ist keine geschützte Marke. Lediglich mit dem «Emmentaler AOP» gibt es seit 2002 ein Herkunftslabel für Emmentaler Käse aus der Schweiz – und die EU anerkennt nicht einmal diesen Schutz.
Im 20.Jahrhundert hatte die Schweizerische Käseunion das Monopol für den Export der wichtigsten Käsesorten. Neue Gesetze liberalisierten den Käsemarkt 1997; die Käseunion löste sich zwei Jahre später auf.
Seither ist das Angebot der Käsetheken vielfältiger – doch für die Sorten Emmentaler, Greyerzer und Sbrinz brachen schwere Zeiten an. Die Zahl der Käsereien, die in der Schweiz Emmentaler produzierten, fiel in nur zwei Jahrzehnten von 539 auf 128. Doch die Krise brachte auch neue Chancen …
5 Kein Emmentaler aus dem Emmental
Die Emmentaler Firma Les fils Mauerhofer & Cie. verkauft im frühen 20.Jahrhundert «Gruyère-Käse», den sie für englisch- und spanischsprachige Kunden und Kundinnen auch kurz und bündig als «Schweizer Käse» anpreist.
Der Emmentaler-Greyerzer-Schweizer Käse ist aber durchaus das, was wir heute Emmentaler nennen würden; man verkauft ihn halt unter dem bekanntesten Namen. Wo liegt auch das Problem: Die Emmentaler Sennin melkt ja auch eine Simmentaler Kuh…
Die heutige Firma Fromage Mauerhofer AG lässt ihre Laibe in den Sandsteinkellern der einstigen G. Roth & Co. reifen. Sie verkauft allerlei Käse – bloss keinen Emmentaler.
6 Käsewerbung der Fromage Mauerhofer AG, 2018.
7 Käse-Etiketten, erste Hälfte des 20.Jahrhunderts.
8 Hip-Hop freut die Käsekulturen
Käse reift besser, wenn er mit Hip-Hop beschallt wird. Behauptet 2019 die Berner Hochschule der Künste (HKB). Und das kam so: Im Rahmen ihres Programms «Die HKB geht an Land» unternimmt die Hochschule künstlerische Expeditionen in die verschiedenen Regionen des Kantons Bern.
In Burgdorf kooperiert die Hochschule unter anderem mit dem Käsehändler Beat Wampfler vom Käsehaus K3. Er hat eine lustige Idee: Er lässt im K3-Käsekeller neun Käse reifen, von denen er fünf mit Musik beschallt. Ein Käse bekommt Klassik zu «hören», einer Techno und so weiter; für drei gibt es synthetische Töne und einer reift im Stillen.
Nach einem halben Jahr werden die Käse gekostet und im Hightech-Lebensmittellabor analysiert. Und siehe da: Der mit Hip-Hop Beglückte ist der Beste! Die internationale Presse nimmt die Geschichte auf. Für viele ist es ein lustiges Kunstexperiment, einige halten es für richtige Wissenschaft, während wieder andere sich sagen: So ein Käse!
9 Kein Käse ohne Salz
Salz ist eine unverzichtbare Zutat beim Käsen: Erst durch ein Salzbad bildet sich die Käserinde und das regelmässige Einreiben mit Salzwasser macht den Käse haltbar.
Die Schweiz muss das meiste Salz einführen, bevor sie sich ab 1840 aus den Rheinsalinen selbst versorgen kann. Bis dahin ist der Salzmarkt streng geregelt: Die Regierung vergibt das Handelsmonopol dem «Salzfaktor». Nur er darf das eingeführte Salz verkaufen.
Salz gibt Macht, und besonders mächtig ist
der Burgdorfer Salzfaktor Johann Rudolf Aeschlimann. Er lebt von 1758 bis 1847 und handelt auch mit Käse.
Über 140 Städte in Deutschland beliefert er, ferner exportiert die Burgdorfer Firma Aeschlimann & Cie ihren Emmentaler nach Frankreich, Österreich-Ungarn und bis nach Russland.
10 Porträt von Johann Rudolf Aeschlimann (1758–1847), Lithografie von Franz Grimm.
Sammlung Rittersaalverein
11 Ein Käsebaron in Burgdorf
Grosse Talkäsereien, Eisenbahnen und Dampfschiffe, Strassen in alle Himmelsrichtungen: Manch ein Käsehändler im Emmental nutzt den technischen Fortschritt.
Exporteur Heinrich Fehr (1815–1890) kommt aus Zürich, um für den Salzmonopolisten Aeschlimann zu arbeiten. Dann macht er sich selbständig und reist zum Käseverkauf per Postkutsche und mit der Eisenbahn durch Deutschland, wo er seinen Käse anpreist.
Das Geschäft läuft rund und Heinrich Fehr expandiert: Kommissionäre arbeiten für ihn in weit entfernten Regionen wie auf dem Balkan oder im russischen St. Petersburg. Auf Dampfschiffen überquert Fehrs Käse die Weltmeere.
12 Pferdefuhrwerke mit Käse beladen vor der Emmen-Brücke zwischen Hasle und Rüegsau, um 1900.
13 Pferdefuhrwerke mit Käse beladen, fotografiert von Guido Roth, 1912.
14 Heinrich Fehr (1815–1890), Mitgründer der Käseexportfirma Fehr & Grieb 1848, Foto Bechstein 1883.
15 Emmentaler international
Ab dem 19.Jahrhundert wandern viele Emmentaler Käser nach Deutschland, Norwegen, Rumänien oder Russland aus und nehmen ihr Wissen mit. Für die Schweizer Exporteure brechen harte Zeiten an – denn der ausländische Emmentaler steht dem einheimischen in nichts nach.
Fritz Stücker betreibt um 1900 eine Käserei in Kars, im damals armenischen Nordosten der heutigen Türkei. Vermutlich beschäftigt Stücker lokale Käser, und vielleicht sieht es bei ihm so aus wie auf diesem Bild. Die Grösse des Chessis lässt erahnen, wie gut das Geschäft läuft.
16 Schweizer Käser und Käsereimitarbeiter im Kaukasus, um 1900.
17 Käse und Leinen, eine starke Kombination
Seit Jahrhunderten bauen Emmentaler Bauern Flachs und Hanf für den Eigenbedarf an – den Flachs für Leinen, den Hanf für grobes Tuch und zum Befeuern des Sonntagspfeifchens …
Nach 1700 beginnen Handelshäuser, Leinwand nach Frankreich, Holland und England auszuführen. Dieses Handelsnetz nutzen nun auch die Käsehändler; 1885 beispielsweise eröffnet Käsehändler Fehr & Cie eine Niederlasung in Charenton bei Paris.
Dem schauen wiederum die Leinwandunternehmer nicht tatenlos zu: Sie nehmen Gruyère und Emmentaler in ihr Sortiment auf und helfen so, den weltweiten Käsehandel aufzubauen.
18 Ankündigung der Eröffnung der Niederlassung der Fehr & Cie in Charenton-le-Pont, Frankreich, 1885.
19 Käse kostet
Käse macht nur ein paar wenige Burgdorfer reich: Käsehändler brauchen ein solides finanzielles Polster, müssen sie doch die Laibe auf eigene Kosten lagern. Auch der Transport zu Land und Wasser ist teuer und riskant.
Die erfolgreichen Emmentaler Käsehandels-Unternehmen um 1800 heissen Joost, Mauerhofer, Lehmann oder Probst; sie sind in Langnau und Trubschachen zu Hause.
Die erste Käsehandelsfirma mit Sitz in Burgdorf gründet Heinrich Fehr im Jahr 1848.
Die wenigen Händler verkaufen Käse an gutbetuchte Kunden. Herrscherhäuser gehören dazu – vom Königshaus in Madrid bis zum Zarenhof in St. Petersburg.
20 Verkaufsbuch der Fehr & Cie der Jahre 1858 bis 1860.
21 Stehpult und Stempelwand aus dem Kontor einer Käseexportfirma. Die Buchhaltung führte man in grossen Büchern. Man schrieb stehend – viel gesünder als heute sitzend.
22 Drei Käsekübel für den Transport der Emmentaler-Laibe, Schreinerei Hofstetter GmbH, Zollbrück, 2019. Beschriftungsschablonen, 20.Jahrhundert.
23 Beschallungskiste für Käselagerung, Käsehaus K3, Burgdorf, 2019.
24 Bescheinigung eines in den USA eingetragenen Markenzeichens für die Käseexport AG, Goldbach, 1922.
25 Fotografien verschiedener Stationen des weltweiten Käsehandels mit Emmentaler.
26 Geschäftskorrespondenz der Pariser Filiale an den Hauptsitz der Roth-Fehr & Cie in Burgdorf, 1916.