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0 Vom Kommen und Gehen
Ein- und Auswandern aus Not oder Lust
Menschen kommen und gehen – mal freiwillig, mal aus Not. Manche flüchten vor Krieg, Gewalt oder Armut; andere folgen der Liebe oder hoffen auf ein besseres Leben.
Die eine zieht in die Welt, um den Horizont zu erweitern, der andere wird nicht länger von den Mitmenschen geduldet.
Im 19.Jahrhundert schickten Berner Gemeinden Leute, die wenig Geld hatten und armengenössig zu werden drohten, mit einer Fahrkarte und ein bisschen Geld nach Amerika – und hofften, nie mehr von ihnen zu hören. Zur gleichen Zeit fanden Menschen aus Deutschland hier Zuflucht.
1 Hin- und hergerissen
Antonia Pantano, Haushälterin, 1931–2014

Aus einfachen Verhältnissen und mit wenig Schulbildung, hatten Antonia und ihr Mann in Sizilien kaum Perspektiven. 1959 fand Carmelo Pantano Arbeit im fernen Burgdorf
bei der Schuhhandelsfirma Jlco.
Antonia folgte ihrem Mann zwei Jahre später nach, zusammen mit ihrem fünfjährigen Sohn Angelo – während der sechsjährige Giuseppe beim Onkel in Sizilien blieb. Antonia wurde Haushälterin der Jlco-Unternehmerfamilie. 1965 kam die Tochter Concetta zur Welt.
Es folgte das Schicksal vieler italienischer Familien: Vater Carmelo hatte Heimweh und wollte zurück nach Sizilien; Mutter Antonia und die Kinder wollten in Burgdorf bleiben. Der Vater setzte sich durch; Antonia folgte mit Concetta.
In Sizilien lebte die Familie als Selbstversorger.
Concetta bildete sich zur Pflegerin aus – und pflegte ihre Eltern, die beide einen Schlaganfall erlitten. Carmelo starb 2000, Antonia 2014.
2 Es gibt nicht viele Fotos von Antonia. Die Fotos
in diesem Album sind aus verschiedenen Fotoalben zusammengetragen: von Antonias Kindern Concetta und Angelo sowie von ihrer Chefin Ruth Lüthi.
3 Orangen gegen Heimweh
Orangen erinnern Antonia an ihre Heimat – Sizilien.
Sie kauft sie in Burgdorf für teures Geld und wird wieder zum Kind: Sorgfältig wickelt sie die Früchte aus den farbig bedruckten Papieren, die sie zur Seite legt. Die Orangen kann Antonia mit dem Messer so schälen, dass die Schale in zwei ineinander gehängten Ringen übrig bleibt. Das grenzt an Zauberei! Ob das alle Sizilianerinnen können? Dann rollt sie ein Papierchen zu einem Zylinder und zündet es unten an. Jetzt steigt eine Rakete in die Luft.
4 Diva contre cœur
Lisa della Casa, Opernsängerin, 1919–2012
Sie war Burgdorfs berühmteste Tochter: Lisa della Casa. Mit Mozart und Richard Strauss brillierte sie an den grossen Opernhäusern von Mailand bis New York.
1973 trat sie abrupt zurück und lebte fortan zurückgezogen mit ihrer Familie in Gottlieben am Bodensee.
2008 warf der Dokumentarfilm «Die Liebe einer Diva» ein neues Licht auf das Leben von Lisa della Casa: Ihr Vater, ein bühnenbegeisterter Burgdorfer Augenarzt, liess sie schon als Kind in Theaterstücken auftreten. Lisa ging den Weg, den der Vater ihr vorzeichnete.
Doch im Grunde war ihr das Leben als Bühnenstar – das sie doch so perfekt beherrschte – zuwider. Nach ihrem Rücktritt begann sie das Leben zu leben, das sie sich gewünscht hatte.
5 Arabella heisst eine Oper von Richard Strauss.
In den 1950er und 1960er Jahren war Lisa die Arabella. Man nannte sie auch Arabellissima.
6 Album mit Fotos und Postkarten aus dem Nachlass von Lisas Bruder Franz della Casa.
7 Lisa della Casa als Arabella in Richard Strauss: «Arabella», Lyrische Komödie in drei Aufzügen/ Act 3 – Das war sehr gut, Mandryka
Aufnahme mit bayrischem Staatsorchester 1963. 4 Min. Deutsche Grammophon, 2005
8 Lisa Della Casa – Von der Arabella zur Arabellissima, Biografie von Gunna Wendt und Monika Faltermeier- Prestl, 2008.
9 Abgeschoben
Henriette Fankhauser, Auswanderin, geboren 1819
Im 19.Jahrhundert hielten sich viele Berner Gemeinden
ihre armengenössigen Bürgerinnen und Bürger vom Leib, indem sie sie nach Amerika schickten. Henriette Fankhauser war eine von ihnen.
Henriette war nicht nur arm, sondern galt als sittenlos. Mit 28 Jahren war sie Mutter dreier unehelicher Kinder. Die Väter verschwanden und zahlten nichts an den Unterhalt. Burgdorf gab ihr eine Einfach-Fahrkarte nach Amerika – wie freiwillig sie wirklich reiste, ist nicht bekannt.
Zwei Söhne lebten mittlerweile im Waisenhaus in Burgdorf. Auf Wunsch der Mutter schickte man auch sie nach Amerika, – mit zu wenig Geld und unzureichender Betreuung.
In zahlreichen Briefen an die Burgergemeinde Burgdorf kämpfte Henriette um die Unterstützung, die ihr zustand. Die Burgergemeinde ging nicht darauf ein.
10 Auszüge aus Briefen von Henriette Fankhauser, gelesen von Kathrin Veith. 10 Min.


11 Henriette Fankhausers Briefe an den Burgerrat Burgdorf. Zuoberst der Brief aus Cleveland vom 24. November 1862.
12 Burgdorfer Jahrbuch 1998: Amerikabriefe der Henriette Fankhauser an die Vormundschaftsbehörden in Burgdorf, 1855–1868, transkribiert von Trudi Aeschlimann.
13 In Revolutionswirren
Ernst Siegenthaler, Käser und Imker, 1894–1992
Das russische Zarenreich war im 19.Jahrhundert ein Ziel für zahlreiche Auswanderer aus dem Kanton Bern. Insbesondere die Käser brachten es oft zu Reichtum.
Ernst Siegenthaler kam 1894 im Nordkaukasus zur Welt. Seine Eltern waren aus Trub dorthin ausgewandert.
Die Familie brachte es mit Käse und Honig zu Wohlstand. 1909 kaufte sie ein riesiges Gut im heutigen Aserbaidschan. 1917 brach die Revolution aus, gefolgt vom Bürgerkrieg.
Die Kommunisten enteigneten Grundbesitzer und steckten viele von ihnen in Straf- und Arbeitslager.
1932 kehrte Ernsts Vater in die Schweiz zurück. Ernst folgte drei Jahre später, und schliesslich wies die Regierung auch die letzten Familienmitglieder aus. In Burgdorf fand Ernst Arbeit und seine zweite Frau.
14 Auszüge aus dem Lebensbericht von Ernst Siegenthaler, gelesen von Tomas Flachs. 9 Min. 27 Sek.

15 Smoker (Gerät zur Raucherzeugung), um 1900.
Der Rauch hält die Bienen fern und erleichtert dem Imker das Arbeiten.
Sammlung Rittersaalverein
16 Burgdorfer Jahrbuch 1986 mit dem Lebensbericht sowie Fotos von Ernst Siegenthaler.
17 Ein Hauch Süden
CRA Roller, Stadtbaumeister, 1805–1858
Bauten wie das Metzger-Zunfthaus oder die Marktlauben geben der Kleinstadt im Emmental italienisches Flair. Verantwortlich dafür ist ein Schwabe: CRA Roller, mit vollem Namen: Christoph Robert August Roller.
Nach seinem Architekturstudium arbeitete Roller für den italienischen Hofbaumeister am Königshof Stuttgart und begab sich danach auf eine einjährige Kulturreise durch Italien.
Nach seiner Rückkehr wurde er Bauinspektor in Burgdorf in einer Zeit, in der es wirtschaftlich aufwärts ging. Gleichzeitig baute Roller als Architekt zahlreiche Gebäude in einem von Italien beeinflussten Stil, so zum Beispiel ein Käsemagazin – das heutige Käsehaus K3 – oder das Waisenhaus, die heutige Musikschule.
Roller prägte Burgdorf – und hätte es gern noch stärker geprägt.
18 Die grosse Freiheit in Italien
«In Stuttgart ist kein Leben für einen angehenden Künstler!», das wird dem jungen Roller schnell einmal klar. «Mein danksüchtiger Gönner hält mich hier gefangen wie in einem eisernen Panzer. Jedem Künstler, der wie ich sein Examen gut bestanden hat, zahlt der König etwas an die Reise. Aber dafür braucht’s Beziehungen. Trotzdem: Ich will nach Italien; meine Kunst vervollkommnen! Ich mag den Hofbaumeister, diesen jähzornigen Napolitaner, nicht länger durchs Atelier fluchen hören. So benimmt sich ein tyrannischer Offizier, kein Künstler!»
Das Schicksal befreit Roller aus seinem Gefängnis: Er erbt und reist als freier Mann von April 1829 bis August 1830 durch Italien. Inspiriert von Bögen, wie hier im Klosterhof Santa Maria Novella in Florenz, baut Roller in Burgdorf die Marktlauben.
19 Skizze des Klosterhofs Santa Maria Novella in Florenz von CRA Roller, 1830 (Reproduktion).
20 Wege des Schicksals
Dass er in Burgdorf landet, ist der Tuberkulose geschuldet: Die damals weit verbreitete Krankheit zwingt CRA Roller, seine Italienreise für eine Kur in Gais zu unterbrechen.
Dort lernt er Johanna Appenzeller kennen und verliebt sich. Auch sie erkrankt – und stirbt, doch Roller kommt nach seiner Reise zurück und heiratet Johannas Schwester Luise Wilhelmine.
Schwiegervater Appenzeller macht Roller darauf aufmerksam, dass die Stadt Burgdorf einen Bauinspektor sucht. Die Stellenbewerber müssen ein Vorstadthaus entwerfen. Rollers Entwurf überzeugt die Stadtoberen und sie berufen ihn am 7. Mai 1831 auf die Stelle.
21 Skizzen von CRA Roller für seine Bewerbung in Burgdorf, 1831 (Reproduktion).
Original im Burgerarchiv Burgdorf
22 Auf dem Weg zur modernen Stadt
Stadtbaumeister CRA Roller hat grosse Pläne für Burgdorf: Ein Baureglement erleichtert ab 1840 die Stadtentwicklung. Roller will Burgdorf verschönern und den Fuhrwerken die Fahrt erleichtern. Aber die Pläne des Architekten sind den Stadtoberen zu radikal. Es mangle an Bauaufgaben, bescheiden sie, und schaffen das Bauinspektorat ab.
Roller muss als selbständiger Architekt weiterarbeiten.
Den grossen Stadtbrand von 1865 erlebt er nicht mehr; Roller stirbt 1858. Beim Wiederaufbau verwirklicht sein Sohn Robert einige Ideen: Er begradigt Fassaden, verbreitert Gassen und baut das Schulhaus Kirchbühl.
Andere Pläne des Vaters bleiben unrealisiert: Im Kirchbühl durchbrechen noch immer Treppen die Fassaden, das Grosshaus ragt bis heute in die Hohengasse und beim Kornhaus klaffen Lücken. Vater und Sohn Roller machen Burgdorf offener, gerader und dichter.
23 Handkolorierte Pläne der Stadt Burgdorf (Reproduktionen). Seine Visionen hat CRA Roller mit Bleistift in die Pläne eingezeichnet.
Originale bei der Stadt Burgdorf
24 Heinrich Guyer: Porträt von Robert Roller, Bleistiftzeichnung (Reproduktion).
Original in der Sammlung Rittersaalverein